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Weihnachten hat mehr Strophen ...

Miltenberg. Weihnachtslieder können nerven, besonders wenn sie in den Kaufhäusern schon Wochen vor
dem Fest penetrant aus Lautsprechern quäken. Sie können aber auch Vorfreude auf das Fest wecken und
daran erinnern, dass es dabei nicht um Geschenkeorgien geht, sondern dass die Christen seit dem 4.Jahrhundert
die Menschwerdung Christi feiern. Wenn diese zentrale Botschaft nicht verschüttet wird, dann können
Weihnachtslieder so viel Freude, so viel Hoffnung – auch und gerade in dunklen Zeiten – schenken, wie das
Katrin Penz am Montagabend mit ihrem Gesprächskonzert im Rahmen des Montagsforums in Miltenbergs
Pfarrkirche St.Jakobus schaffte. „Weihnachten hat viel mehr Strophen …. als Sie vielleicht denken“ hatte sie
als Titel gewählt und bewies dann eine gute Stunde lang vor knapp 100 Besuchern im großen Kirchenschiff
mit der exzellenten Akustik, in wie vielen Farben Weihnachtslieder seit dem 16.Jahrhundert mit Glänzen
und Strahlen ihre Botschaft unter die Menschen bringen. Penz‘ Erfolgsgeheimnis an diesem Abend: Ihr sensibles,
oft brillantes Cellospiel und ihre frische, lebendige Moderation, der Beweis, dass ihr flotter und informativer
Rundgang durch die Geschichte und Wirkung der Weihnachtslieder für sie keine Pflichtaufgabe,
sondern Herzensangelegenheit war und ist.
Burkhard Vogt vom Aschaffenburger Martinushaus brachte das bei seinem Dank am Ende auf den Punkt:
„Sie haben uns die frohe Botschaft des Weihnachtsfestes mitgebracht.“ Tatsächlich war weniger Nachdenklichkeit
oder gar Melancholie angesagt, als die Cellistin und Musikschullehrerin zu Beginn mit Telemanns
stimmungsvollen "Adagio“ vom Altarraum aus die Besucher verzauberte. Als sie „Es ist ein Ros entsprungen“
auf dem Cello spielte, summten die ersten Zuhörer mit. Dieses 400 Jahre alte Lied hat die Zeit genau so
gut überstanden wie seine textliche Veränderung in der Reformation, als seine Marienlied-Wurzel getilgt
wurde.
Dass die Lieder im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit nicht zuhause, sondern in den Kirchen gesungen
und gespielt wurden, wie faszinierend trotz oder wegen der bewusst einfachen Texte und der eingängigen
Melodien Hirtenlieder wirken, oder wie zum Rhythmus von „Josef, lieber Josef mein“ vor Jahrhunderten
tatsächlich „das Kindelein“ vor dem Altar gewiegt wurde – anschauliche Erkenntnisse an diesem Abend.
Manchmal stimmte Penz mit der Cellomelodie die Zuhörer auf das nächste Lied ein, bevor sie am Mikrophon
dessen Geschichte skizzierte und alle Strophen sehr frisch rezitierte, manchmal aber begann sie auch –
wie beim „Zu Bethlehem geboren“ - mit dem Text und nährte bei den Zuhörern die frohe Erwartung auf das
Cellospiel. Ein gutes Rezept für das kurzweilige und lebendige Gesprächskonzert. Das Lied nach dem Text
des Jesuiten und engagierten Kämpfers gegen die Hexenprozesse Friedrich Spee von Langenfeld aus dem
frühen 17.Jahrhundert mit sechs zeitlosen Strophen – „O Kindelein, von Herzen / dich will ich lieben sehr /
in Freuden und in Schmerzen, / je länger mehr und mehr“ - zählt zu den bekanntesten Weihnachtsliedern.
Ganz sicher trug dazu auch die Melodie bei, die von einem damals populären und durchaus frivolen französischen
Chanson stammte. Viel war zu erfahren an diesem Abend, auch dass das „Es wird schon gleich dunkel“
die Melodie des „Maria zu lieben“ „zweitverwertete“, dass Luther eine ganz wichtige Rolle bei der Erfolgsgeschichte
der Weihnachtslieder spielte und die Reformation also ganz und gar keine Zäsur brachte.
Luthers Einsatz für die Volkssprache war hier kein Bruch, eher Rückenwind.
Man hätte am Ende eine Umfrage über das Lieblingslied in dieser beeindruckenden „Hitparade der ganz anderen
Art“ starten können und vermutlich sehr unterschiedliche Antworten bekommen. Bachs aus einem
Choral entstandenes „Ich steh an deiner Krippen hier“ oder das „Tochter Zion, freue dich“ nach Händels
Chorsätzen aus dem Oratorium „Joshua“ wären wohl weit vorne gelandet. Vielleicht am eindrucksvollsten
an diesem atmosphärisch dichten Abend war der Moment, als Katrin Penz, die in Görlitz geboren wurde und
aufwuchs, von ihren eigenen Erfahrungen mit schlesischen Kinderliedern in ihrer Kindheit sprach und damit
bewies, wie tief die Wurzeln für die Faszination von Weihnachtsliedern reichen. Coronabedingt waren die
spürbar berührten Besucher beim Mitsingen zur Cellomelodie von „Macht hoch die Tür“ am Ende eher zurückhaltend
– der Beifall aber war laut und herzlich.
Heinz Linduschka